Systemischer Blick für Jugendhilfe im Strafprozessverfahren
Im Fachbereich Ambulante Hilfen zur Erziehung bietet Wegweiser e. V. seit August eine weitere Unterstützung nach § 52 SGB VIII Sozialgesetzbuch und leistet als Träger der gesetzlich verpflichtenden Leistungen für das Jugendamt des Landkreises Leipzig „Jugendhilfe im Strafverfahren“. Hannah Sauerschell, Fachbereichsleiterin berichtet im Interview über die Motivation und die Hintergründe zu dieser Entscheidung.
Welche Hilfestellungen gibt es für junge Menschen, die straffällig geworden sind, den Prozess abzuwenden, das Strafmaß zu mindern und vor allem neue Perspektiven auf die eigene Straffälligkeit und Handlungsalternativen zu erlangen?
Im Rahmen der Hilfen zur Erziehung gibt es da unterschiedliche Möglichkeiten und Hilfen. Wir beim Wegweiser e.V. bieten hierfür systemische Kurzzeitberatung an. D.h. wir suchen gemeinsam mit den Jugendlichen nach neuen Blickwinkeln und Erkenntnissen im eigenen, individuellen System und versuchen diese durch unsere Arbeit heraus zu kitzeln. Ich würde die Straftat gar nicht so in den Mittelpunkt der Beratung setzen. Wir schauen vielmehr, was ist denn außenherum so los? Welche Konflikte gibt es vielleicht mit den Eltern, welche Konfliktlösestrategien bestehen bisher im System der Person? Der Auftrag lautet nicht, dass der junge Mensch die Straftat zugeben soll, sondern ihn zu befähigen, Zusammenhänge zu erkennen, zukünftig andere Perspektiven zu ergreifen und dadurch seine bisherigen Denk- und Handlungsmuster zu durchbrechen – und dadurch im besten Fall weitere Straffälligkeit zu vermeiden. Durch die begrenzte Beratungszeit verstehen wir uns auch erstmal als Türöffner, um gegebenenfalls weitere Hilfen zu vermitteln. Je nachdem, was jede*r konkret braucht.
Hannah Sauerschell,
Teamleiterin Ambulante Hilfen zur Erziehung
Warum hast du diese neue Sozialdienstleitung mit in das Programm des Wegweiser e. V. genommen? Was hat euch im Team dazu motiviert?
Zum einen wurde der Bedarf an diesen Leistungen durch das Jugendamt an uns herangetragen. Zum anderen sind, im Vergleich zu den Hilfen, die wir bis jetzt anbieten, diese Beratungen für straffällige Jugendliche kurzweiliger. Wir alle im Team merken, dass es – sowohl für unsere eigene Arbeitsmotivation als auch für die intensive Anwendung systemischer Methodik (ein Steckenpferd des Wegweiser e.V.s) manchmal auch gut ist eine kurze Kontaktzeit zu haben.
Mithilfe von beispielweise Familienaufstellungen oder der Arbeit mit Bildern kann in der Zusammenarbeit mit den jungen Menschen eine hilfreiche Klarheit geschaffen werden über die darunterliegenden Bedürfnisse und Zusammenhänge.
Wie läuft die Vermittlung der Klient*innen über das Jugendamt des Landkreises? Es gab in der Vergangenheit im Amt massiven Personalmangel. Wie kann die Vermittlung dieser Hilfe gesichert werden?
Die Hilfen werden über den Jugendamtsbereich „Jugendhilfe im Strafverfahren“ vermittelt. Dieser Bereich ist nicht so stark von Personalmangel betroffen wie der Allgemeine Soziale Dienst. Die Erfahrung, die meine Kollegin Isabel Lori bis jetzt dort gemacht hat, ist gut. Sie bietet seit einiger Zeit ähnliche Sozialdienstleitungen auf selbstständiger Basis an und ist zufrieden mit der Zusammenarbeit. Ab Januar werden wir ihre selbstständigen Leistungen in den Leistungskatalog des Wegweisers integrieren. Dann kommen noch die Angebote „Täter-Opfer-Ausgleich“ und „deliktspezifische Beratung“ dazu, deren Arbeitsweisen und –fokus nochmal ein bisschen woanders liegen. Was ich mir jetzt noch wünsche, ist die Möglichkeit, unser Konzept konkret beim zuständigen Bereich des Jugendamts vorzustellen. Da nutzt ja jeder Träger einen etwas anderen Werkzeugkoffer. Und langfristig wünsche ich mir natürlich einen regelmäßigen Austausch mit den Mitarbeiter*innen im Jugendamt über die Fallverläufe, die gemeinsame Arbeit und gegebenenfalls Anpassungsbedarfe. Doch dem blicke ich positiv entgegen und freue mich auf die neuen und gemeinsamen, fachlichen Erfahrungen.