Gefühlscocktail am Tresen der Sozialarbeit

Zum Seminar “Gewaltfreie Kommunikation” von Dr. Katharina Storch
Beobachtung
Zu unserer diesjährigen Klausurtagung haben wir uns für unseren “Weiterbildungstag”, das ist meist der zweite Tag dieser außerordentlichen Tagung, Dr. Katharina Storch eingeladen.
Wir? Quatsch! Stimmt nicht! Außer Sylvi hat sich niemand vorher die Referenzen von Frau Dr. Storch angeschaut. Das weckt in Sylvi das Verlangen, sich zu äußern, nachdem einige aus unserem Guten-Morgen-Stuhlkreis das Konzept der GFK (Gewaltfreie Kommunikation) vorsichtig infrage stellten und andere nicht genau wussten, warum wir uns das geben sollten. Sylvi distanziert sich mit einem gekonnten Statement und überlässt uns dem Vakuum.
Gefühl
Manchmal werden wir oder unsere Klient*innen in Situationen im Arbeits‑, Schulalltag oder Zuhause von Gefühlen überrollt, die einen sofortigen Impuls auslösen. Weglaufen, Boxen, Schreien, Augenrollen oder was Krasses sagen, oder so tun als wäre nichts und innerlich platzen. Um diese Impulse besser kontrollieren und einschätzen zu können, üben wir echte Gefühle von Pseudo- oder Opfergefühlen zu unterscheiden. Das ist gar nicht so einfach. Sagen wir doch oft solche Sätze wie: “Ich fühle mich nicht gesehen.” oder “Er hat mich gar nicht gehört oder ich fühle mich übergangen.” oder “Ich fühle mich nicht wertgeschätzt”. Aber das sind keine Gefühle, sondern Beschreibungen, was wir denken.
Katharina Storch bittet uns, eine Erinnerung an eine unangenehme Situation aufzuschreiben, eine, die uns belastet oder sogar quält. Danach fragt sie uns, wie wir uns in dieser Situation gefühlt haben. Na … beschissen, (falsch: weil Pseudogefühl)! Voll kacke (auch Pseudogefühl)! Wütend (sehr unangenehmes Gefühl), enttäuscht, deprimiert, auch resigniert und frustriert! Hä? Wie? Wo ich das spüre? Echt jetzt? Ich hab’ n dicken Hals, verdammt! Und wenn ich richtig drüber nachdenke, muss ich auch gleich kotzen — ich habe Magenschmerzen.
Das sind Gefühle, so Storch, die alle aus dem leeren Bedürfnistank kommen.

Bedürfnis
Also ist, laut GFK-Konzept, die darauf logische Schlussfolgerung, dass ich irgend etwas brauche oder mir irgendetwas fehlt, wenn ich auf jemanden wütend bin? Sind denn wirklich “meine” Bedürfnisse ungestillt, wenn die Gefühle aus dem leeren Tank kommen? In der Mitte des Kreises steht unsere Vorzeige-Problematikerin Anne*. Sie berichtet von einem echt miesen Typen (hier ausnahmsweise Bewertung, weil richtig scheiße!), der übergriffig ist und ihrer unendlichen Wut darüber, dass ewig in der Institution nichts passiert. Manchmal hat man einfach Lust, jemandem eine reinzukloppen, weil dieser Mensch einfach nicht in Ordnung ist. Tja. GFK! Da fehlt doch Anne* nichts, sondern dem Typen oder da ist ein Fehler im System, oder?
Im Raum wird es ganz ruhig. Eine Stecknadel könnte man fallen hören, so angespannt ist die Situation. Dr. Katharina Storch ist ganz bedächtig und legt einige laminierte A4-Blätter auf den Boden, um Anne* auf diesen hin und her zu manövrieren. Da steht ganz unten erst “Gefühl”, dann kommt “Bedürfnis”, “Strategie” und dann “Bitte”. Anne* steht auf dem Blatt “Gefühl”. Ist klar, oder? Sehr unangenehm! Dann auf dem Blatt “Bedürfnis” — auch klar, weil schon weiter oben beschrieben. Dann kommt sie zu “Strategie”: Funktioniert nicht, weil — Fehler im System. Dieser Typ muss weg! Aber Anne* hat diese verdammte Macht nicht, ihn zu feuern. Wieder zurück zu “Bedürfnis”. Sie wird von Katharina mehrere Male durch geschickte Fragen zwischen Gefühl, Bedürfnis und Strategie hin und her geschickt, es kommt nicht zu einer “Bitte”.

“Was ist das wichtigste Bedürfnis, was du verspürst?” fragt sie nochmal. Anne* antwortet, jetzt schon ungedulgig: “Na, dass die Kindern sicher sind und es ihnen gut geht!”. Bingo! Vorwärts auf Blatt “Strategie”. Der Fokus geht weg von dem Typen, hin zu den Kindern. Sie ist jetzt noch verwirrt, aber die Zettel auf dem Boden bringen langsam Klarheit.
Bitte
“Wenn wir unsere Bedürfnisse aussprechen, steigt die Chance, dass unsere Bitten erfüllt werden.” (… ), steht hier als Zitat im Handout. Annes* erste heimliche Bitte wurde nicht erfüllt. Der Typ ist immer noch da. Die Lieblingsstrategie wäre gewesen, möglichst schnell das Übel zu eliminieren. Im Prozess erarbeitet sie sich aber noch weitere Strategien. Bei der Frage “Was brauche ich?” und “Was brauchst du?” sieht Anne* jetzt wieder in die Gesichter der Kinder und kann gut mit ihnen in Verbindung gehen. An die Kids koppelt sie jetzt die Bedürfnisse. Klarheit und ein ausgewogenes Gefühlsbarometer ist so wichtig, um soziale Arbeit überhaupt machen zu können. Vor der GFK-Session vermisste Anne* ihre Wirksamkeit, den Sinn und die Zugehörigkeit in die Institution. Dank der Session und der gezielten Fragen von Dr. Katarina Storch kann Anne* jetzt besser fühlen, was ihre Arbeit eigentlich ausmacht, was erfolgreich ist und wie sie den Fokus nicht verliert.
Fazit:
Was wir gelernt haben ist, dass GFK unsere Selbstempathie fördert, wenn wir sie bewusst anwenden. Mit den Fragen: “Was fühle ich?”, “Wo genau in meinem Körper fühle ich das?”, “Was brauche ich?” und “Was fehlt mir?” kann ich in manchen Konfliktsituationen bestimmt viel Energie sparen. Wir hören zu allererst die eigenen Gefühle und Bedürfnisse und handeln damit bedachter. Es entschleunigt, hält die Verbindung zum Gegenüber und fördert die Kreativität.
Zitat aus dem Handout von Frau Dr. Storch: "Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht, unsere Reaktion zu wählen. In unserer Reaktion liegen unser Wachstum und unsere Freiheit" (Viktor Frankl)
ABER: Gewalt, Unterdrückung und Machtmissbrauch werden wir mit dieser Kommunikationsmethode nicht abschaffen. Diese Form der Kommunikation ist ein Privileg. Nicht alle können das. Es gibt Menschen, die nichts fühlen. Manchmal müssen wir uns für die Wut entscheiden. Laut sein und richtig schreien, um gehört zu werden und um Veränderungen voran zutreiben und um Zustände offenzulegen. Deshalb, Leute! Spart eure Energie bedacht im Alltag und setzt sie ein, für die wirklich zielführenden Kämpfe! 🙂 Prost auf den Gefühlscocktail!
*Name von der Redaktion geändert
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