Schulsozialarbeit mit einem klaren systemischen Ansatz erfolgreicher machen!

blonde Frau am Schreibtisch, im Hintergrund Pinnwand

Clau­dia Preuß im Inter­view mit Doreen Tschantschala

Doreen Tschant­scha­la arbei­tet als Fach­grup­pen­lei­te­rin des Berei­ches Schul­so­zi­al­ar­beit im Weg­wei­ser e. V. und ist selbst seit über 20 Jah­ren Schul­so­zi­al­ar­bei­te­rin an der Lern­för­der­schu­le in Bor­na. Ich habe Doreen gefragt, was ihre Visi­on von Schu­le wäre und wel­che Metho­den sie in ihrer Arbeit erfolg­reich anwendet. 

Clau­dia: Was ist der Unter­schied zwi­schen der Arbeit als Sozi­al­ar­bei­te­rin an dei­ner Schu­le im Ver­gleich zu der Arbeit an Ober­schu­len, Grund­schu­len oder Gymnasien?

Doreen: Der Unter­schied ist gar nicht so groß, weil die Auf­ga­ben der Schul­so­zi­al­ar­beit all­ge­mein­gül­tig sind. Das sind Auf­ga­ben wie Ein­zel­fall­hil­fe, Eltern­ar­beit und Grup­pen­ar­beit. Alle im Team arbei­ten mit den glei­chen Werk­zeu­gen und Metho­den und pas­sen die­se an die Gege­ben­hei­ten vor Ort an.

An mei­ner Schu­le in Bor­na haben alle Schüler*innen eine dia­gnos­ti­zier­te Lern­schwä­che. Das bedeu­tet, sie sind ein­ge­schränk­ter im sozia­len Han­deln und in der Regu­lie­rungs­fä­hig­keit. Man­che Kin­der sind in ihren kogni­ti­ven Fähig­kei­ten lang­sa­mer, zum Bei­spiel beim Lesen, Schrei­ben oder Rech­nen. Prin­zi­pi­ell kön­nen sie aber alles ler­nen, was ande­re Schüler*innen auch ler­nen kön­nen. Aber es gibt einen bemer­kens­wer­ten Unter­schied in den Eltern­häu­sern. Eltern unter­stüt­zen an mei­ner Schu­le zumeist weni­ger, auf­grund von mate­ri­el­len Vor­aus­set­zun­gen, auf­grund eige­ner kogni­ti­ver Beein­träch­ti­gun­gen und auf­grund ihrer Lebens­wei­se. Die Eltern sind teils ein­ge­schränk­ter in ihrer Zeit mit dem Kind, weil es z. B. Mehr­kin­der­haus­hal­te sind oder weil sie in klei­ne­ren Woh­nun­gen leben oder selbst in schwie­ri­gen Lebens­la­gen sind oder nicht gut aus­ge­bil­det sind. 

Clau­dia: Kannst du dich an einen Vor­fall erin­nern, der dich beson­ders her­aus­ge­for­dert hat?

Doreen: An einen kon­kre­ten Fall kann ich mich nicht erin­nern. Die schlimms­ten Fäl­le haben immer was mit Kin­des­wohl­ge­fähr­dung zu tun. Die größ­te Her­aus­for­de­rung für uns Sozialarbeiter*innen ist aus mei­ner Sicht das “Sys­tem Schu­le”, was uns grund­sätz­lich Stei­ne in den Weg legt. Wobei mir scheint, dass es da an der Lern­för­der­schu­le noch ein­fa­cher ist, weil die­se Schu­le mit dem Lehr­plan nicht so fest gebun­den ist. Anders ist es am Gym­na­si­um. Es gibt kaum Mög­lich­kei­ten ande­re Lern­for­men zu eta­blie­ren. Es ist schwie­rig Kin­der aus dem Unter­richt zu neh­men oder kür­ze­re Unter­richts­zei­ten für ein­zel­ne Kin­der durch­zu­set­zen. Das Sys­tem ist starr und unfle­xi­bel und damit fal­len Kin­der mit Beson­der­hei­ten hin­ten runter. 

Aber auch die Aus­stat­tung der Jugend­hil­fe im Land­kreis Leip­zig ist eine Schwie­rig­keit. Das Jugend­amt mit ein­zu­be­zie­hen und Hil­fen für Kin­der und ihre Fami­li­en zu bekom­men ist meist abhän­gig von finan­zi­el­len Mit­teln und per­so­nel­len Kapa­zi­tä­ten. Ob wei­ter­füh­ren­de Hil­fen mög­lich sind, ist meist abhän­gig vom Sozi­al­raum, indem die Fami­lie lebt und wie enga­giert die Hil­fen funktionieren.

Clau­dia: Wenn Du die Macht hät­test, am Sys­tem Schu­le etwas zu ver­än­dern, was wür­dest du tun?

Doreen: Ich wür­de klei­ne­re Klas­sen eta­blie­ren und eine Schu­le für alle Kin­der schaf­fen. Es müss­te außer­dem jeweils zwei Lehr­kräf­te pro Klas­se geben, damit indi­vi­du­el­ler auf die Kin­der ein­ge­gan­gen wer­den kann.

Clau­dia: Wel­che wich­ti­gen Mei­len­stei­ne habt ihr in den letz­ten Jah­ren im Team Schul­so­zi­al­ar­beit erreicht und wor­auf seid ihr stolz?

Doreen: Ich glau­be, wir haben im Land­kreis Leip­zig einen wesent­li­chen Anteil dar­an, dass die Schul­so­zi­al­ar­beit so weit ver­brei­tet ist. Aber das haben wir natür­lich nicht allein getan. Die Zusam­men­ar­beit mit allen Trä­gern im Land­kreis war dafür eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung. Wir im Weg­wei­ser e. V. haben oft Impul­se gege­ben und sind in die Ver­hand­lun­gen mit Ent­schei­dungs­trä­gern gegan­gen. Als ich vor 21 Jah­ren als Schul­so­zi­al­ar­bei­te­rin ange­fan­gen habe, da gab es im Land­kreis nur 2 Schul­so­zi­al­ar­beits­pro­jek­te. Inzwi­schen gibt es über 40. Dar­auf kön­nen wir schon stolz sein. In der Stadt ist die­ser Schlüs­sel noch nicht so weit. Es ist eine gute Sache, dass alle För­der­schu­len, Ober­schu­len und Gym­na­si­en im Land­kreis inzwi­schen Schulsozialarbeiter*innen haben müs­sen.
Die Grund­schu­len feh­len noch. Da sind wir aber dran und tre­ten mit Poli­tik in Dia­log. Wir müs­sen klar­ma­chen, dass Schul­so­zi­al­ar­beit genau­so zu einer Schu­le gehört wie eine Sekre­tä­rin oder ein Leh­rer — es muss ein­fach zur Grund­aus­stat­tung von Schu­le gehören. 

Außer­dem fin­de ich es mitt­ler­wei­le stark, dass wir im Team gelernt haben, viel sys­te­mi­scher zu arbei­ten. Das heißt, wir arbei­ten nur mit einem Auf­trag, der auch von Lehrer*innen, den Kin­dern und/oder den Eltern gese­hen und gewünscht wird. Dadurch haben sich die Erfolgs­chan­cen unse­rer Arbeit wesent­lich ver­bes­sert. Wir arbei­ten qua­si nur, wenn auch ande­re Betei­lig­te eine Pro­ble­ma­tik sehen und ver­än­dern wollen. 

Clau­dia: Was hältst du von dem Kon­zept der Inklu­si­ons­schu­len und wel­che Rol­le haben Schulsozialarbeiter*innen dei­ner Mei­nung nach dort?

Doreen: Die Schulsozialarbeiter*innen an Inklu­si­ons­schu­len kön­nen ganz nor­mal ihre Metho­den auch dort anwen­den kön­nen. Das Kon­zept der Inklu­si­ons­schu­len beschreibt die Tat­sa­che, dass alle gemein­sam ler­nen kön­nen. Das fin­de ich gut! Ich bin dafür Lern­för­der­schu­len abzu­schaf­fen, weil dann die­se gesell­schaft­li­che Clus­te­rung nicht inten­si­viert wird. Lei­der geht das nicht ein­fach so. Dazu müs­sen vie­le Bedin­gun­gen geschaf­fen wer­den, damit auch ande­re Kin­der in Schul­klas­sen gut ler­nen kön­nen. Dazu braucht es neue Kon­zep­te, die die per­so­nel­le Aus­stat­tung beden­ken, die Klas­sen­grö­ßen soll­ten neu defi­niert wer­den, Räu­me, in denen man z. B. Grup­pen gut tren­nen kann.

Clau­dia: Wenn Du Dir etwas wün­schen könn­test, was Eure Arbeit ver­bes­sern wür­de, was wäre das?

Ich wür­de mir wün­schen, dass die Per­so­nal­stel­len der Schulsozialarbeiter*innen grund­sätz­lich und von Anfang an mit­ge­dacht wer­den und dass auch die Schu­le gemein­sam mit der Poli­tik unse­re Arbeit fest im Sys­tem instal­lie­ren wür­den. Das wür­de schon vie­les erleichtern.