Versöhnung durch Vogelfüttern

Isa­bel Lori arbei­tet im Team der ambu­lan­ten Hil­fen als Sozi­al­päd­ago­gi­sche Fami­li­en­hil­fe und seit Janu­ar 2024 als Media­to­rin in Straf­sa­chen. Nun bie­tet sie dem Jugend­amt des Land­krei­ses Leip­zig Täter-Opfer-Aus­gleich als Leis­tung nach § 52 SGB VIII an.

Isa­bel Tabea Lori
Media­to­rin für Strafsachen

Was ist ein Täter-Opfer-Ausgleich und was sind die Voraussetzungen?

“Der Täter-Opfer-Aus­gleich (kurz: TOA) ist immer frei­wil­lig. Wir bekom­men die Fäl­le von der Jugend­hil­fe im Straf­ver­fah­ren zuge­wie­sen. Wur­de von einer Kon­flikt­par­tei eine Straf­an­zei­ge erstat­tet und/oder auf Grund des öffent­li­chen Inter­es­ses ein Ermitt­lungs­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet, so kön­nen Staats­an­walt­schaft, Gerich­te oder auch die am Ver­fah­ren betei­lig­ten Per­so­nen einen TOA anstre­ben. Dabei wird den Betei­lig­ten mit­tels eines*r all­par­tei­li­chen Mediators*in die Mög­lich­keit gege­ben, sich über den Kon­flikt auszutauschen.“

Zunächst fin­den sepa­ra­te Ein­zel­ge­sprä­che statt. Dabei liegt der Fokus auf Fra­gen, wie z. B. „Wie habe ich den Vor­fall erlebt?“, „Wie ging es mir in der Situa­ti­on?“, „Wel­che Fol­gen hat­te der Vorfall/die Tat auf mich?“, „Was ist mir heu­te wich­tig im Umgang mit der Tat?“, „Wofür kann ich die Ver­ant­wor­tung über­neh­men?“, „Was brau­che ich nun, um gut mit dem Erleb­ten abschlie­ßen zu kön­nen?“. Im Anschluss an die­ses ver­trau­li­che Gespräch haben die Betei­lig­ten die Mög­lich­keit einer außer­ge­richt­li­chen Eini­gung zuzu­stim­men. In jedem Fall ist ein TOA frei­wil­lig und kann zu einer Ein­stel­lung des Straf­ver­fah­rens füh­ren oder wird straf­mil­dernd berück­sich­tigt. Ein TOA kann offe­ne Fra­gen klä­ren und die Kon­flikt­par­tei­en für­ein­an­der sen­si­bi­li­sie­ren. Wei­ter­hin haben die Par­tei­en ein Mit­be­stim­mungs­recht und kön­nen die Wie­der­gut­ma­chung selbst bestimmen.

Wie ist der Ablauf eines Täter-Opfer-Ausgleichs?

Zunächst lade ich die tat­ver­ant­wort­li­chen Person(en) schrift­lich oder per Anruf zu einem unver­bind­li­chen Erst­ge­spräch ein. In die­sem Vor­ge­spräch bekom­me ich ein Gefühl inwie­fern Ver­ant­wor­tung für die Tat über­nom­men wer­den kann und wie sich der oder die Jugend­li­che eine Wie­der­gut­ma­chungs­leis­tung vor­stellt. Nicht nur die tat­be­trof­fe­ne Per­son kann von der Frei­wil­lig­keit Gebrauch machen, auch die tat­ver­ant­wort­li­che Per­son kann sich nach dem Vor­ge­spräch für oder gegen ein Aus­gleichs­ge­spräch ent­schei­den. Im Anschluss an das Gespräch lade ich die tat­be­trof­fe­ne Per­son schrift­lich ein. Auch in die­sem Gespräch wer­den die o.g. Fra­gen bear­bei­tet. Nicht sel­ten sind die Kon­flik­te beid­sei­tig (z.B. Kör­per­ver­let­zung, Belei­di­gung). Haben sich bei­de Par­tei­en für ein Aus­gleichs­ge­spräch ent­schie­den, kom­men die Par­tei­en durch mich mode­riert ins Gespräch, dabei lege ich gro­ßen Wert auf mei­ne Neu­tra­li­tät, Frei­wil­lig­keit und ein respekt­vol­les Mit­ein­an­der. Ziel ist es, eine Wie­der­gut­ma­chungs­leis­tung anzu­bie­ten. Das kann eine Ent­schul­di­gung, etwas Mate­ri­el­les oder Finan­zi­el­les sein. Bei der Höhe oder dem rich­ti­gen Maß der Leis­tung muss ich mich als Media­to­rin aber raus­hal­ten, es sei denn, die Wie­der­gut­ma­chungs­leis­tung ist unver­hält­nis­mä­ßig hoch. Dann schrei­te ich schon mal ein und hin­ter­fra­ge die For­de­rung. Schön ist es, dass in den meis­ten Fäl­len die Per­so­nen mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch raus­ge­hen. Im Anschluss an das Gespräch wird die Ver­ein­ba­rung ver­schrift­licht, von den Par­tei­en unter­schrie­ben und an die Jugend­hil­fe im Straf­ver­fah­ren ver­sen­det. Die Wie­der­gut­ma­chungs­leis­tung wird durch mich überprüft.

Wo sind die Grenzen eines TOA´s?

Zunächst kann davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass ein TOA fast immer ein geeig­ne­tes Mit­tel ist, um Kon­flik­te außer­ge­richt­lich zu besei­ti­gen – wenn bei­de Par­tei­en dem zustim­men, hier ist bereits die ers­te Gren­ze. Es gibt zudem ein paar weni­ge Aus­nah­men, die vor­her gut durch­dacht wer­den soll­ten. Zum einen sind das Stal­king-Fäl­le und zum ande­ren Fäl­le von häus­li­cher Gewalt. Ist in einem Vor­ge­spräch erkenn­bar, dass die tat­ver­ant­wort­li­che Per­son die vol­le Ver­ant­wor­tung über­nimmt und auch Ideen zur Ver­mei­dung des Ver­hal­tens ent­wi­ckelt hat, könn­te ein TOA sinn­voll sein. Da bei häus­li­cher Gewalt und auch bei Stal­king oft­mals Macht­struk­tu­ren vor­herr­schen und die tat­ver­ant­wort­li­che Per­son der betrof­fe­nen Per­son im Vor­feld Aus­sa­gen zurecht­le­gen könn­te, kann ein TOA auch Gegen­tei­li­ges bewir­ken und das vor­herr­schen­de Sys­tem unterstützen.

Ausbau des Angebots

„Gut vor­stel­len könn­te ich mir, die Wege zu einem Täter-Opfer-Aus­gleich nied­rig­schwel­li­ger zu gestal­ten. Das heißt, die tat­be­trof­fe­nen und/oder tat­ver­ant­wort­li­chen Per­so­nen oder auch Insti­tu­tio­nen in denen Kon­flik­te auf­ge­tre­ten sind, wie bspw. Schu­len, könn­ten sich direkt an uns wen­den. Damit wür­de der Weg über die Poli­zei ent­fal­len und die Kon­flik­te wür­den zeit­nah geklärt. Zum Teil lie­gen die Ver­ge­hen der Jugend­li­chen über ein Jahr zurück. Die­se Zeit des War­tens ist auf bei­den Sei­ten nicht sel­ten geprägt von Unsi­cher­hei­ten und kön­nen zum Aus­bau oder Ver­fes­ti­gen unge­sun­der Gefühls- und Ver­hal­tens­wei­sen füh­ren. Für einen Aus­bau die­ser Art sind Fra­gen der Finan­zie­rung und der Kon­zep­ti­on zu klä­ren, die­ser Pro­zess wäre es aus mei­ner Sicht wert.“

The boy feeds the birds with seeds from his hand. Spar­row eats seeds from the boy’s hand The Spar­row sits on boy’s hand.

Kannst du dich an einen Fall erinnern,
wo der TOA gut gelungen ist?

„Ein recht unkon­ven­tio­nel­ler Fall fällt mir ein, ja! Das ist ein Fall aus einer Wohn­grup­pe im Kin­der­heim in Grim­ma*. Der Fall ist ca. 1 Jahr her. Es gab Kon­flik­te zwi­schen zwei Kin­dern, ein Jun­ge 14 Jah­re und der ande­re 8 Jah­re. Sie strit­ten, wer zuerst ins Bade­zim­mer gehen dürf­te.  Levi (14) hat erst Tim (8) geschla­gen und dann in der Wut auch die Erzie­he­rin geschla­gen. Die Kör­per­ver­let­zun­gen waren sicht­bar, die Erzie­he­rin muss­te den Arbeits­platz ver­las­sen. Sozi­al­stun­den, wie in den Vor­fäl­len aus der Ver­gan­gen­heit, waren für Levi kei­ne Stra­fe mehr. Er kann­te die­ses Vor­ge­hen und hat­te sich damit arran­giert. Des­halb kamen die Fach­kräf­te auf die Idee, einen TOA zu ver­su­chen – mode­riert durch eine geschul­te Per­son, die mit dem Sys­tem, in dem der Vor­fall sich abspiel­te, nicht ver­bun­den ist.


Geis­tig war Levi nicht auf dem Stand eines 14-jäh­ri­gen Jun­gen. Ich muss­te sehr deut­lich spre­chen und sehr kur­ze und ein­fa­che Sät­ze for­mu­lie­ren, damit mei­ne Inten­ti­on ver­stan­den wur­de. In bei­den Fäl­len war der Bezugs­er­zie­her mit anwe­send. In dem gemein­sa­men Aus­gleichs­ge­spräch einig­ten sich die Kin­der dar­auf, dass sie bei­de die Gren­zen des ande­ren wah­ren möch­ten und bas­tel­ten wäh­rend des Gesprä­ches bei­de Stopp­schil­der, wel­che sie an ihre Zim­mer­tü­ren hän­gen woll­ten. Wei­ter­hin ent­schul­dig­te sich Levi bei Tim und bot ihm an, dass sie gemein­sam im Anschluss eine Tafel Erd­beer-Scho­ko­la­de, als Wie­der­gut­ma­chung, kau­fen.
In dem zwei­ten Aus­gleichs­ge­spräch, wel­ches mit der Erzie­he­rin statt­fand, einig­ten sich bei­de dar­auf, dass Levi den Win­ter über die Ver­ant­wor­tung für das Vogel­häus­chen über­nimmt und er die­se zuver­läs­sig füt­tert.
Alle Par­tei­en haben unter­schrie­ben und sich ver­pflich­tet, die Wie­der­gut­ma­chungs­leis­tung als Streit­nie­der­le­gung zu begrei­fen und damit Frie­den anzu­er­ken­nen. Egal, ob All­tags­kon­flik­te wie hier, zwi­schen zwei Kindern/Jugendlichen oder schwe­re­re Delik­te wie kör­per­li­che Gewalt zwi­schen jun­gen Erwach­se­nen: bei der Beglei­tung durch eine außen­ste­hen­de, neu­tra­le Per­son, die weder dem eige­nen Sys­tem noch dem Rechts­sys­tem ange­hört, geht es nicht nur um den tat­säch­li­chen Aus­gleich, also die Wider­gut­ma­chungs­leis­tung. Im bes­ten Fall bie­tet sie nach­hal­tig die Chan­ce, gemein­sam auf den Vor­fall zu bli­cken, sich zuzu­hö­ren und zu ver­ste­hen, das eige­ne Ver­hal­ten zu reflek­tie­ren und zukünf­tig ande­re Lösungs­we­ge für sich parat zu haben.