Die Mär der fehlenden Psychotherapeut*innen

frustrierter Mann

Egal, ob unse­re Klient*innen der Fami­li­en- und Erzie­hungs­be­ra­tung sich allei­ne um einen The­ra­pie­platz hier im Land­kreis Leip­zig bemü­hen und uns von lan­gen War­te­lis­ten oder nie­mals ans Tele­fon gehen­den Therapeut*innen und Auf­nah­me­stopp berich­ten oder von Kli­ni­ken, die außer beim Wort „sui­zi­dal“ lei­der kei­ne Ter­min­mög­lich­kei­ten anbie­ten oder ob wir ver­su­chen, unse­re Klient*innen selbst wei­ter­zu­ver­mit­teln – der Frust ist hoch und die Erfolgs­quo­te gering.
„Schnell“ schon mal gar nicht!
Und dann hören wir immer – es gibt eben zu wenig Psychotherapeut*innen. 

Und an der Stel­le möch­ten wir ger­ne inter­ve­nie­ren und sagen – so ganz rich­tig ist das nicht. Psychotherapeut*innen gibt es schon — fer­tig und gut aus­ge­bil­de­te, in den Start­lö­chern ste­hen­de Psychotherapeut*innen. Was es aller­dings nicht gibt, sind freie Kas­sen­sit­ze. Und die sind lei­der die Vor­aus­set­zung dafür, dass ein*e Psychotherapeut*in eine Pra­xis eröff­nen kann um dann Patient*innen zu betreu­en, deren Kos­ten von den Kas­sen über­nom­men werden. 

Die Steuerung der Kassensitze

Die Steue­rung der Kas­sen­sit­ze über­nimmt die Kas­sen­ärzt­li­che Ver­ei­ni­gung. Die­se ent­schei­det im Rah­men einer Bedarfs­pla­nung,  wie vie­le Kas­sen­sit­ze in einem bestimm­ten Ein­zugs­be­reich not­wen­dig sind. In einem gesperr­ten Bereich kön­nen sich also neue Therapeut*innen nur dann nie­der­las­sen, wenn jemand anders sei­ne Zulas­sung abgibt. Auf die­sen frei­ge­wor­de­nen Sitz bewer­ben sich, ins­be­son­de­re im Bereich der (auch Kin­der- und Jugend-) Psy­cho­the­ra­pie und in beson­ders gefrag­ten Regio­nen wie bspw. Leip­zig und Umge­bung beson­ders vie­le wil­li­ge Psychotherapeut*innen. Doch nur eine*r kann den Zuschlag erhal­ten. Von einer wei­te­ren Dar­stel­lung wei­te­rer immenser finan­zi­el­ler und struk­tu­rel­ler Hür­den über­haupt jemals einen Abschluss als Psychotherapeut*in zu erhal­ten und Kas­sen­sitz eröff­nen zu kön­nen, sehen wir an die­ser Stel­le lie­ber ab.

traurige Kinder im Arm der Mutter

Seit Jah­ren bekla­gen wir alle, Patient*innen, angren­zen­de Pro­fes­sio­nen, Ver­bän­de usw., dass die Anzahl der Kas­sen­sit­ze ein­fach nicht aus­rei­chend ist. Ändern tut sich – außer frucht­lo­sen Ver­su­chen das Sys­tem zu opti­mie­ren wie bspw. der Ein­füh­rung der sinn­lo­sen Ter­min­ser­vice­stel­le – nichts. Mehr Kas­sen­sit­ze bedeu­tet natür­lich mehr The­ra­pie, und mehr The­ra­pie bedeu­tet mehr Kos­ten. Und wer will die schon tra­gen. Für uns bleibt gleich­blei­ben­der Frust für alle Beteiligten. 

Überforderung der niedrigschwelligen Familienberatung 

Und so wird die eigent­lich nie­der­schwel­li­ge Fami­li­en- und Erzie­hungs­be­ra­tungs­stel­le vie­ler­orts zum Auf­fang­sys­tem für the­ra­pie­be­dürf­ti­ge Fami­li­en, mit allen Kon­se­quen­zen, die das für uns und für unse­re Klient*innen mit sich trägt. Ein unhalt­ba­rer Zustand und trotz­dem etwas, was sich anschei­nend nicht in abseh­ba­rer Zukunft ver­än­dern wird. Wer hat schon Res­sour­cen für gro­ßen Pro­test in der eige­nen stän­di­gen Über­ar­bei­tung und Über­for­de­rung oder inmit­ten einer psy­chi­schen Krise. 

Hel­fen kann jeder, indem er oder sie sich am Pro­test betei­ligt, Peti­tio­nen und Kam­pa­gnen unter­stützt und die Mär von den „weni­gen Psychotherapeut*innen“ nicht wei­ter trägt.  Und über die skan­da­lö­se Situa­ti­on in den Kin­der- und Jugend­psych­ia­trien reden wir dann an ande­rer Stelle.

Hier fin­den Sie wei­te­re Fak­ten zur Belas­tung von Kin­dern und Jugend­li­chen durch Corona:

https://www.bmfsfj.de/resource/blob/214866/fbb00bcf0395b4450d1037616450cfb5/ima-abschlussbericht-gesundheitliche-auswirkungen-auf-kinder-und-jugendliche-durch-corona-data.pdf

Für mehr Psychotherapieplätze und weniger Leidensdruck!

Min­des­tens drei bis neun Mona­te war­ten rund 40 Pro­zent der Patient*innen laut Bun­des­psy­cho­the­ra­peu­ten­kam­mer auf den Beginn einer Behand­lung und etwa 20 Pro­zent sogar sechs bis neun Monate.