Mama, Papa und ich — seltsam…

Wie Kinder die Trennungszeit der Eltern gut überstehen

Als mei­ne Toch­ter vor eini­gen Jah­ren Jugend­wei­he fei­er­te, for­mier­te sich unse­re gro­ße Ver­wandt­schaft in bra­ven sip­pen­treu­en Grüpp­chen vor die Kame­ra. War­um? Tja, viel­leicht weil jede*r ein Bild zum Vor­zei­gen braucht, von der eige­nen Sip­pe? Mir fehl­te die Zeit, um den Wunsch unse­rer Gäs­te nach ahnen­zu­ge­hö­ri­gen Fami­li­en­fo­tos zu hin­ter­fra­gen. Somit began­nen wir ein lus­ti­ges „Bäum­chen wechs­le Dich“ Spiel vor der Kame­ra. Zuerst alle zusam­men, dann mei­ne Toch­ter mit mei­ner Fami­lie, also müt­ter­li­cher­seits, Oma, Opa, ich, Onkel Tho­mas mit Freun­din und drei Kin­dern, der Freund der Cou­si­ne und ihr klei­ner Bru­der. Cheese. 

Dann posi­tio­nier­te sich die Fami­lie väter­li­cher­seits, die Oma aus Erkel­enz, die Schwes­ter vom Papa mit ihren Töch­tern. Dann — noch­mal Cheese und klick! Wei­ter stell­ten wir uns noch­mal anders auf. Mei­ne Toch­ter soll­te sagen, wer zur engs­ten Fami­lie gehört. Das waren dann mein dama­li­ger Part­ner, ihr klei­ner Bru­der, ich, ihr Vater und sie selbst. Lächeln! Klick! Dann kam ich auf die Idee, auch ein Foto mit nur der Gefei­er­ten in der Mit­te, ein­ge­schlos­sen von rechts Mama und links Papa zu machen. Noch­mal Lächeln. Klick! Dann for­mier­ten wir uns noch ein­zeln, Papa mit Toch­ter, Mama mit Toch­ter, Oma und Opa mit Enke­lin u. s. w.

Als alle Fotos dann eini­ge Tage spä­ter aus­ge­druckt auf dem Küchen­tisch lagen, nahm mei­ne frisch Jugend-geweih­te Toch­ter das Foto von Mama, Papa und sich selbst in die Hand und starr­te lan­ge auf das Bild. Ich muss noch erwäh­nen, dass ihr Vater und ich zur Zeit ihrer Jugend­wei­he schon ein Jahr­zehnt getrennt waren und ein gutes Ver­hält­nis haben. „Mama“ sag­te sie „das hier, das fühlt sich total selt­sam an.” Lan­ge mach­te ich mir dar­über Gedan­ken. Haben wir in der Tren­nungs­pha­se etwas falsch gemacht?

Clau­dia Kro­ne und Nad­ja Mahn sind bei­de sys­te­mi­sche Fami­li­en­the­ra­peu­tin­nen und spe­zia­li­siert auf Paa­re in Tren­nung. Sie kom­men gera­de von einem Ter­min mit den Kin­dern der Paa­re, die sie durch die Tren­nung beglei­ten. Ich stel­le ihnen neu­gie­rig aller­hand Fra­gen und bin, wie so oft, dank­bar, über einen so lebens­na­hen Job:

Ich: War­um macht ihr eine Trennungskindergruppe?

Nad­ja: Grup­pen­the­ra­pie heißt ja, sich gegen­sei­tig zu stär­ken. Wir beglei­ten Kin­der, deren Eltern bei uns in der Tren­nungs­be­ra­tung sind und wo wir mer­ken, dass die Kin­der Unter­stüt­zungs­be­darf haben.

Clau­dia: Für vie­le Eltern ist es her­aus­for­dernd in der Pha­se der Tren­nung den Blick wie­der auf ihr Kind zu rich­ten. Sie sind oft im Schmerz und in den eige­nen Emo­tio­nen und schaf­fen es nicht, auf das Kind zu schau­en und die Sach­ebe­ne zu betreten.

Ich: Wie läuft das ab? Wie ist die Arbeit mit den Kin­dern aufgebaut?

Clau­dia: Das ist jetzt der zwei­te Durch­gang der Tren­nungs­kin­der­grup­pe, der ers­te konn­te wegen Coro­na nicht statt­fin­den. Wir machen ein Vor­be­rei­tungs­ge­spräch mit den Eltern. Wir fra­gen kon­kret nach dem Umgangs­mo­dell und ob es neue Part­ner­schaf­ten in der Fami­lie gibt, auch fra­gen wir nach Geschwis­ter­kon­stel­la­tio­nen und Stief­ge­schwis­tern. Ein Vor­be­rei­tungs­ge­spräch mit den Eltern, zwei Eltern­aben­de und acht Kin­der­grup­pen Ter­mi­ne beinhal­ten das Bera­tungs­set­ting. Eigent­lich ist es eine sehr kind-zen­trier­te Arbeit, aber sie hat unheim­li­che Kraft für die Elternarbeit.

Nad­ja: Am Anfang geht es erst­mal um das Ver­trau­en zu uns. Wir nen­nen klar, dass die Kin­der hier sind, weil ihre Eltern sich getrennt haben, d.h. wir schlei­chen nicht ums The­ma rum. Die Kin­der haben in der Grup­pe alle das glei­che The­ma und das wird immer Raum haben. Dann kön­nen sie erzäh­len, wie es zu Hau­se ist. Wir schau­en mit ihnen zwei Fil­me und machen auch sehr vie­le krea­ti­ve Sachen.

Heu­te haben die Kin­der zum Bei­spiel die ver­zau­ber­te Fami­lie gemalt. Da soll­ten sie sich vor­stel­len, dass ein böser oder guter Zau­be­rer in die Fami­lie kommt, das kann die eige­nen Fami­lie sein, oder aber auch eine kon­stru­ier­te – und sie soll­ten malen, was der Zau­be­rer da macht. Das war sehr berüh­rend heu­te: ein Mäd­chen erzähl­te, dass der Zau­be­rer immer alle Fami­li­en trennt. Der macht, dass alle strei­ten und die ein­zi­ge Lösung dann die Tren­nung ist. Die Erwach­se­nen haben danach wie­der neue Part­ner, aber die Kin­der blei­ben trau­rig zurück. Das ist der böse Zau­ber. Ich habe dann gefragt, ob es ein Gegen­gift gibt. Dar­auf­hin sag­te das Mäd­chen, das Gute ist, dass die neu­en Paa­re sich nach eini­ger Zeit auch wie­der strei­ten und tren­nen und dann die Ursprungs­fa­mi­lie wie­der zusammenkommt.

Eine ande­re rela­tiv star­ke Inter­ven­ti­on ist der Brief ans eige­ne Kind. Mut­ter und Vater sol­len einen Brief an das Kind schrei­ben. Dar­in sol­len sie sagen, was sie an ihrem Kind lie­ben, wor­auf sie stolz sind und wel­che schö­nen Erleb­nis­se sie gemein­sam hat­ten und haben. Und, das ist die größ­te Her­aus­for­de­rung gera­de bei strit­ti­gen Eltern, die drei Eigen­schaf­ten des Kin­des beschrei­ben, die vom ande­ren Eltern­teil sind und lie­bens­wert sind. Das ist eine rela­tiv star­ke Inter­ven­ti­on.
Wir bekom­men dann die Brie­fe, lesen sie vor­her noch­mal durch und lesen sie danach den Kin­dern vor. Die Kin­der wer­den von uns auf einen klei­nen Thron gesetzt und bekom­men die Geschen­ke in Form von vor­ge­le­se­nen Wor­ten von den Eltern prä­sen­tiert. Das ist eine sehr berüh­ren­de und ganz süße Situation.

Teil­wei­se neh­men wir die Arbeit auch per Video oder Dik­tier­ge­rät auf, um es den Eltern zu zei­gen. Wenn wir die Wün­sche und Gesprä­che der Kin­der den Eltern prä­sen­tie­ren, dann ent­steht manch­mal was. Die Eltern kom­men in die Rüh­rung. Manch­mal ent­steht ein gemein­sa­mer Fokus der sie als Eltern wie­der ver­bin­det. Damit kön­nen wir in der Eltern­ar­beit sehr gut anset­zen, um bei bei­den die Stand­punk­te zu öffnen.

Ich: In wel­chen Fäl­len macht eine Tren­nungs­kin­der­grup­pe aus eurer Sicht kei­nen Sinn?

Clau­dia: Wenn vie­le Gerichts­pro­zes­se vor­her waren und es schon Befra­gun­gen von Verfahrensbeiständ*innen, Richter*innen und Psycholog*innen gab und es das Kind über­for­dern wür­de. Trotz­dem wür­den wir uns mit den Leu­ten, die das Kind schon mal gese­hen haben, dann in Ver­bin­dung set­zen. Auch bei sehr klei­nen Kin­dern, die sich noch nicht rich­tig äußern können.

Ich: Was müs­sen Eltern machen, damit die Kin­der glück­lich durch die Tren­nungs­zeit kommen?

Nad­ja: Ich male manch­mal so ein Bild in der Eltern­be­ra­tung. Dar­auf gibt es zwei Ebe­nen: die Paa­re­be­ne und die Elterne­be­ne. Solan­ge die Eltern-Ebe­ne wie ein schüt­zen­des Dach über dem Kind bleibt oder eine Brü­cke zwi­schen den Eltern ist, wo das Kind drü­ber gehen kann, dann ist es eine rela­tiv gute Situa­ti­on. Es soll­te gute Über­ga­ben geben und es muss eine grund­le­gen­de Akzep­tanz der unter­schied­li­chen Lebens­mo­del­le und Lebens­wel­ten geben, ohne nega­ti­ve Bewer­tun­gen und ver­nich­ten­de Urtei­le. Das es ab und zu Situa­tio­nen gibt, wo die Eltern sich begeg­nen und sich hal­lo sagen kön­nen. In man­chen Fäl­len geht das nicht, da gibt es eine ganz getrenn­te par­al­le­le Eltern­schaft, wo die Eltern sich gar nicht mehr begeg­nen kön­nen. Das kann man in Fäl­len häus­li­cher Gewalt nach­voll­zie­hen, ansons­ten bin ich da streng. Eltern soll­ten ein Min­dest­maß an Bücken bereit­hal­ten, um ihr Kind sicher hin und her lau­fen zu lassen.

Als Meta­pher neh­me ich auch gern zwei Inseln im Oze­an. Wenn das Kind von Mama-Insel zu Papa-Insel ein­fach in den Oze­an geschubst wird, ist es fix und fer­tig, wenn es drü­ben ankommt. Die Brü­cke, das ist der Mini­mal­kon­sens an Abspra­chen und Kon­takt­zei­ten wie Weih­nach­ten und Geburts­ta­gen, die Eltern für ihre Kin­der bereit­hal­ten sollten.

Clau­dia: Die Vor­aus­set­zung dafür ist natür­lich die Ver­ar­bei­tung der Krän­kun­gen und dann zu einer Mei­nung zu gelan­gen, dass der ande­re Eltern­teil auch gut für das Kind ist. Es braucht eine Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Expartner*innenanteilen und Elternanteilen. 

Nach­denk­lich ver­ar­bei­te ich die Ant­wor­ten mei­ner Kol­le­gin­nen zu Text. Ich ver­su­che inner­lich die Zeit der Tren­nung Revue pas­sie­ren zu las­sen. Ja, da waren am Anfang eini­ge Bar­ri­ka­den auf der Brü­cke zwi­schen den Eltern­in­seln. Stimmt! Viel­leicht wäre so eine Grup­pe und eine Bera­tung auch für uns damals gut gewe­sen? Oder kam das Gefühl bei mei­ner Toch­ter nur auf, weil ich die­ses Foto­ar­ran­ge­ment der Klein­fa­mi­lie zu ernst genom­men habe? Viel­leicht hät­ten wir unse­re Arme wie ein schüt­zen­des Dach über unse­re Toch­ter hal­ten und dabei brei­te Gri­mas­sen zie­hen sol­len? Oder woll­te ich mit dem Foto eine nor­ma­le Fami­lie krei­ie­ren? Aber — was ist schon normal? 

Tren­nungs­kin­der sind auf jeden Fall total nor­mal, und wer zur liebs­ten Fami­lie gehört, kann ja auch jedes Kind für sich selbst ent­schei­den, oder?! Die bei­den Eltern­in­seln sind jeden­falls mitt­ler­wei­le tro­pi­sche Urlaubs­in­seln, die durch eine brei­te Auto­bahn ohne Geschwin­dig­keits­be­schrän­kung ver­bun­den sind. Hin- und her fah­ren zwar gera­de haupt­säch­lich Geld­trans­por­te, die mit­ten auf der Stre­cke über­fal­len wer­den, aber — das ist schon o.k. Cheese!