Gewitter im Kopf

Kind mit großem Kuscheltier, sitzend

Ein Liebesbrief an Kinder mit ADHS!

Dag­mar König ist eine Frau mit Lebens­er­fah­rung! Sie ist Mut­ter eines jetzt schon erwach­se­nen Soh­nes und einer Toch­ter, sie ist Oma von zwei wun­der­vol­len Enkeln und arbei­tet erfolg­reich als Sozi­al­päd­ago­gin und Eltern­kurs­lei­te­rin. Sie ist ADHS-Coa­chin, Dozen­tin, Mit­glied im Kin­der­schutz­bund – und das ist nicht alles. Ihr Lebens­lauf lässt jedoch erah­nen, dass sie als Diplom- Wirt­schafts­in­ge­nieu­rin sich nicht aus mate­ri­el­len Grün­den mit fast 50 noch ein­mal beruf­lich umorientierte.

Wir sit­zen im Wald­frie­den. Es ist frü­her Abend. Dag­mar drückt mir einen Fly­er in die Hand, den sie vor eini­gen Jah­ren selbst ent­wor­fen hat. Auf der zwei­ten Sei­te lese ich: „Erken­nen Sie ihr Kind wie­der? Es ist sen­si­bel, offen, hilfs­be­reit, beson­ders emo­tio­nal, groß­her­zig, neu­gie­rig, tier­lieb, phan­ta­sie­voll, […] und ver­fügt über einen aus­ge­präg­ten Gerech­tig­keits­sinn —  kurz: eine lie­bes­wer­te Per­sön­lich­keit“. Auf der ande­ren Sei­te sind die Her­aus­for­de­run­gen für Eltern beschrie­ben, das ange­spann­te Ner­ven­kos­tüm, Erschöp­fungs­zu­stän­de, die Zwei­fel am rich­ti­gen Erzie­hungs­stil, die Hilf­lo­sig­keit und Überforderung.

blonde ältere Dame, lächeln
Dag­mar König
ADHS Coa­chin

Sie selbst weiß, wovon sie spricht. Bei ihrem Sohn wur­de mit 5 Jah­ren eine ADHS dia­gnos­ti­ziert. Das ers­te Halb­jahr in der Schu­le ver­lief gut, dann stieg der Lern­druck und damit auch die Pro­blem­stel­lung. Auch Dag­mars Ehe litt unter der Kom­ple­xi­tät der Her­aus­for­de­run­gen. Sie sucht Hil­fe und Beglei­tung in Bera­tungs­stel­len. Sie sucht Hil­fe bei Men­schen, die ihren Sohn mit all sei­nen Poten­tia­len sehen, die sehen, was er mit­bringt. Sie möch­te lie­be­vol­le und ver­ant­wor­tungs­vol­le Beglei­tung sein, sie sucht Orte, wo dem Kind mit Empa­thie begeg­net wird. Aber die Ange­bo­te sind rar. Sie beginnt selbst eine Aus­bil­dung zur ADHS-Coachin.

ADHS ist erb­lich. 2 bis 6 Pro­zent aller Kin­der und Jugend­li­chen sind betrof­fen. Was die Kin­der füh­len? Dopa­min wird nicht aus­rei­chend trans­por­tiert und damit sind die Reiz­fil­ter im Gehirn geschwächt. In dem klei­nen Kopf spielt sich die gan­ze Zeit ein Gewit­ter ab. Alle mög­li­chen Sin­nes­ein­drü­cke von außen, Geräu­sche, Stim­men, tak­ti­le Berüh­run­gen, Bewe­gung und Licht aber auch Gefühls­über­flu­tun­gen strö­men im glei­chen Maße auf die Wahr­neh­mung ein. Sie sind einer stän­di­gen Über­for­de­rung ausgesetzt.

Chris­ti­ne Roß
Schul­so­zi­al­ar­bei­te­rin in der Grund­schu­le Böhlen

Auch Chris­ti­ne Ross, Schul­so­zi­al­ar­bei­te­rin in der Grund­schu­le Böh­len, weiß, was es für Kin­der bedeu­tet, den Schul­all­tag zu meis­tern, wenn es stän­dig im Kopf blitzt und don­nert. Kin­der erle­ben sich als feh­ler­haft und unge­nü­gend und ste­hen mit ihrer Umwelt in stän­di­gem Kon­flikt. Sie wol­len unbe­dingt, aber kön­nen ein­fach nicht wie alle. Sie sind dadurch weni­ger moti­viert und reagie­ren irgend­wann auch beson­ders auf­fäl­lig in ihrem Sozi­al­ver­hal­ten. Chris­ti­ne ist spe­zia­li­sier­te ADHS-Trai­ne­rin nach einem Kon­zept nach Lauth & Schlott­ke. Sie schätzt, dass in Schu­len pro Klas­se min­des­tens 3 bis 4 Kin­der betrof­fen sind.

In der Grund­schu­le in Böh­len kann Chris­ti­ne Ross den Kin­dern Ein­zel­trai­ning oder Übun­gen in Grup­pen anbie­ten. In ruhi­ger und ein­fühl­sa­mer Atmo­sphä­re üben die Kin­der Auf­ga­ben zum Zeit­ma­nage­ment, zur Orga­ni­sa­ti­on, Auf­ga­ben­rou­ti­nen und Lern­stra­te­gien. Schritt für Schritt, weni­ger ist mehr. Und wich­tig fin­det Chris­ti­ne, dass Lehrer*innen, Eltern und Schulsozialarbeiter*innen ein gutes Team sind und gemein­sam für das Kind nach guten Lösun­gen suchen.

Auf die Fra­ge, was wirk­lich gehol­fen hat, emp­fiehlt Dag­mar König spe­zi­el­le Ergo­the­ra­pien und  Eltern-Kind-Kuren mit ADHS-Schwer­punkt und die grund­le­gen­de Ent­schei­dung, sich als Anwäl­tin des Kin­des zu ver­ste­hen, auch wenn es manch­mal schwer­fällt. Das sind Wor­te, die mich stark beein­dru­cken. Wie oft füh­len sich Eltern stark gekränkt, wenn das Kind im Sys­tem Schu­le ver­sagt. Wie hart kön­nen die Fol­gen sein, wenn Eltern den Druck auch zu Hau­se noch erhö­hen, der sowie­so schon da ist? Eltern und Kin­der brau­chen dahin­ge­hend Unter­stüt­zung. Sie betont wei­ter, dass sich nur mit die­sem soli­da­ri­schen Grund­ver­ständ­nis ein gesun­des Selbst­wert­ge­fühl ent­wi­ckeln kann. Und das, so sagt sie, ist schließ­lich die wich­tigs­te Stüt­ze für den Lebens­weg eines Kin­des, das die Anders­ar­tig­keit in die Wie­ge gelegt bekom­men hat.

Hil­fe­an­ge­bo­te für Eltern, Jugend­li­che und betrof­fe­ne Erwach­se­ne gibt es seit vie­len Jah­ren in Leip­zig. Die AD(H)S‑Selbsthilfegruppe Grün­au im FRÖ­BEL-Kin­der­haus Groß und Klein kurz GuK. Mit­grün­de­rin Cor­ne­lia Stein ist eine sehr enga­gier­te Anlei­te­rin die­ser Selbst­hil­fe­grup­pe mit Fach­kom­pe­ten­zen und ein­schlä­gi­gen Wei­ter­bil­dun­gen in ver­schie­de­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­ni­ken der Selbst­hil­fe. Eltern, Kin­der und Conelia Stein tref­fen sich im Café des Hau­ses aller zwei Wochen. 

Außer­dem emp­fiehlt Cor­ne­lia Stein die Kin­der­ärz­tin Dr. med. Kar­la Amm. Vie­le Jah­re lei­te­te Amm das AD(H)S‑Netzwerk in Leip­zig und ist Fach­ärz­tin für Kin­der- und Jugend­me­di­zin, Neu­ro­päd­ia­trie, Psy­cho­the­ra­pie, Exper­tin und Refe­retin für AD(H)S‑betroffene Kin­der und heil­päd­ago­gi­sche Frühförderung.